JANNSICHTEN Die Welt mit anderen Augen sehen
Fotosymbiosen, so nennt Ingeborg Jann ihre ganz besondere Art der Fotografie. Die Bilder, die durch mehrfache Überblendungen entstehen, fordern uns zum genauen Hinschauen und Entdecken auf. Schicht für Schicht will genauestens gesehen und das Geheimnis erkannt werden: was zeigt die Überlagerung von der vorherigen Aufnahme? Wo entsteht Neues, Überraschendes, Metamophorisches? Was bleibt, was wandelt sich? Welche neuen Farbkompositionen entstehen? Was bleibt, was verändert sich, was ist unveränderbar?
Es ist also eine durchaus spannende Seh-Reise, zu der uns die Fotosymbiosen der Ingeborg Jann auffordern. Denn die Bandbreite der Themen ist enorm. Mal sind die Motive verträumt, spielerisch, märchenhaft, dann wieder lösen sie die eher kantigen Umrisse unterschiedlichster Stadtarchitektur auf. Den Hauptbahnhof, den Potsdamer Platz, das Brandenburger Tor ... Aber auch Schlösser und Gärten mit ihren schmückenden Skulpturen werden durch die Sicht der Fotografin und Designerin zu neuen Wahrnehmungen verwandelt. Und diese werden ganz ganz individuell empfunden.
Genau das ist die Absicht der Künstlerin. Vom großen Picasso stammt das Zitat: "Wenn es nur eine Wahrheit gäbe, könnte man nicht hundert Bilder zum gleichen Thema malen".
Gerade in unserer heutigen Zeit mit der immer größer werdenden Bilderflut, die uns auch zutiefst erschrecken kann, denken wir nur an die Aufnahmen der Kriegsfotografen, wo wir nichts mehr "malen" können, sondern nur die Momentaufnahme einer verstörenden Wahrheit sehen. Natürlich ist dieser vorgehaltene "Spiegel" wichtig.
Aber genauso wichtig ist es, die Schönheit, den Zauber, die andere Sichtweise auf die Welt nicht zu vergessen, die uns auffordert, Erscheinungen zu durchdringen, Schicht für Schicht freizulegen, mit unserem " inneren Auge" zu entdecken und dadurch bereichert zu werden.
Die Fotosymbiosen sind für Ingeborg Jann ein wichtiger, aber nicht der einzige Schritt ihrer künstlerischen Entwicklung. In den letzten Jahren zählt für sie die bewusste Hinwendung zu einer völlig neuen Art des Materials und des Ausdrucks. Jetzt wird die Sicht auf die Welt fokussierter, malerisch, bunter, inspiriert von den unendlich viele Formen und Farben der Natur.
"Der kleine Käfer" - so der Titel eines ihrer neuen Bilder, ertrinkt fast im Rausch der ihn umgebenden explosiven Farben der Natur. Aber er ist DA, er ist Teil der Umgebung, die vielleicht nur geschaffen wurde, damit er Heimat und Geborgenheit hat.
Und so sind auch diese überraschenden und neuen Bilder eine Anregung, vielleicht auch Bitte, die Augen für die allgegenwärtige Schönheit zu öffnen. Für die vielen kleinen Details, die erst beim genauen Betrachten sichtbar werden, aber dafür um so beglückender sind, weil ICH es bin, der sie gesehen hat.
So wollen die Bilder der Ingeborg Jann in unser reflektierendes Bewusstsein treten, es wecken und im Inneren einen Dialog mit unseren Ansichten anregen.
In diesem Sinne gehen Sie auf Seh-Reise der JANNSICHTEN.
Was immer Sie mitnehmen, es wird Sie bereichern.
Text von Dagmar Helmbold für die Jubiläumsausstellung von Juni bis Oktober 2022 in der Remise Schloß Rheinsberg, die Ingeborg Jann leider nicht mehr erlebt hat
" Nicht was einer getan hat in seinem Leben, sondern was er noch vorhatte, bestimmt das Maß des Unrechts seines Todes " Elias Canetti